Gerecht? Richtig? Recht?
Die doppelte Verantwortung von Eltern in Familienunternehmen wiegt schwer. Eltern sollen gerecht gegenüber ihren Kindern sein und gleichzeitig für das Unternehmen optimale Entscheidungen treffen. Nicht selten führt diese Doppelaufgabe in den Ruin. Denn um nicht ungerecht zu werden, verschließen Eltern die Augen vor der Nachfolgeregelung – bis das Unternehmen in der Stagnation untergeht oder der Tod die Entscheidung erübrigt.
Gerechtigkeit ist einer der Werte, die in unserer Gesellschaft zumindest als normative Vorstellung eine große Rolle spielen. Auch wenn sich alle einig sind, dass Gerechtigkeit oft nicht zu haben ist – das Streben danach gilt als ehrbar und sozusagen unabdingbar. Der Versuch eines jungen Unternehmers, seinen vier noch sehr jungen Kindern in der fernen Zukunft Neid und Eifersucht zu ersparen, in dem er nun schon seine vierte Firma gründet, ist eher anrührend als erfolgsversprechend. Denn wer weiß heute schon, ob diese Unternehmen dann, wenn es soweit ist, gleichwertig sein werden. Geschweige denn, ob die Kinder bis dahin den Willen und die notwendige Kompetenz haben werden, diese Unternehmen erfolgreich zu führen.
Doch wenn es auch keine allgemein gültigen Gesetze zur gerechten Nachfolgeregelung gibt – eines ist sicher: abwarten und aussitzen funktionieren am allerwenigsten. Vielleicht müssen wir uns nochmals mit der familiären »Gerechtigkeit« befassen.
Eltern versuchen ihre Kinder gleich zu behandeln. Kinder erwarten Gleichbehandlung. Das klingt erst einmal vertraut. Und doch wird man bei genauerem Hinsehen eingestehen müssen, dass diese Vorstellung nicht trägt. Kein Kind ist dem anderen gleich, kein Elternteil hat die exakt gleiche Beziehung zu jedem Kind. Kinder werden in historisch andere Situationen hineingeboren, sie haben unterschiedliche Talente, sie fordern Eltern auf unterschiedliche Weise heraus – sie können überhaupt nicht gleich behandelt werden ohne ungerecht zu sein. Stellen wir uns einfach die sportliche Tochter und den vergeistigten Sohn vor. Beide werden ohne Ansehen ihrer Person für die gleiche Leistung gleich gelobt oder getadelt. Ist das vielleicht gerecht? Und trotzdem halten wir die Fiktion aufrecht, unsere Kinder gleich zu behandeln… und die Kinder fordern »gleiches Recht« für alle ein und zwingen damit Eltern dazu, sich wider besseren, uneingestandenen Wissens, darum zu bemühen.
Da die Währung »Liebe« so schwer zu messen ist, verlagert sich die Geschwisterrivalität auf materielle, leicht zu zählende Objekte. Taschengeld, Zeit – und das zu erwartende Erbe. Juristische Regelungen unterstützen regelmäßig diese Vorstellung von »Gerechtigkeit«, in dem jedes Kind den gleichen Anteil des Vermögens erben soll. Auch in der normalen Familie entstehen die giftigsten Auseinandersetzungen an dieser Stelle: ein Kind kümmerte sich um die alten Eltern, die anderen gingen ihren Interessen nach – alle erben gleich viel. Jeder kennt diese Fälle aus dem Umfeld und die verbitterten Streits, die über Generationen hinweg lebendig bleiben können.
Die Unternehmerfamilie hat nun ein zusätzliches Problem: Werden alle Kinder im Familiensinn gerecht und damit gleich am Unternehmen beteiligt, geschieht dies zwangsweise ohne Ansehen ihrer Kompetenz. Das heißt für das Unternehmen, das unter Umständen für das wirtschaftliche Überleben der Familie zuständig ist, ist dies vermutlich nicht richtig. Nur ein Verkauf ermöglicht die pekuniäre Gleichbehandlung der Kinder. Soll das Unternehmen weitergeführt werden, müssen jedoch andere Kriterien zur Lösungsfindung herangezogen werden als »Gleichbehandlung«.
Gerechtigkeit ist das Kriterium der Familie, Richtigkeit das Kriterium des Unternehmens und Rechtmäßigkeit das Kriterium der juristischen Lösung – die Unternehmereltern müssen nun diese Kriterien alle berücksichtigen. Die Unternehmerkinder müssen sich in einem komplexen Gebilde einen Weg suchen, der es ihnen ermöglicht, die Familienbindung, die Zugehörigkeit zur Familie zu leben, selbst wenn die innerfamiliären Kriterien »Gerechtigkeit und Gleichheit« mit den außerfamiliären Kriterien kollidieren. In den meisten Fällen ist dies nicht ohne externe Unterstützung möglich. Denn je emotionaler eine Situation, desto weniger sind wir in der Lage, uns und die Situation »von außen« zu sehen. Wir brauchen dann den neutralen Blick einer anderen Person, um eine gute Lösung für uns zu finden.
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Literaturempfehlung:
Fritz B. Simon (Hrsg.) Die Familie des Familienunternehmens. Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg, 2005
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